Ralf Hoffrogge/Anja Thuns/Axel Weipert: Die Arbeiter und die Anderen? Arbeiterbewegung, Nation und Migration im 19. und 20. Jahrhundert

„Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ – mit diesem Schlachtruf endete das 1848 erschienene Kommunistische Manifest. Die prominenten Autoren gingen selbstverständlich davon aus, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter „kein Vaterland“ hätten und übernahmen damit eine These des Frühsozialismus: Die Solidarität der Klasse stehe über der Nation. So sah es auch Wilhelm Weitling in seinem Werk „Die Menschheit, wie sie ist und wie sie sein sollte“ von 1839, in dem er die Abschaffung der Nationalstaaten und die zwangsweise Einführung einer Universalsprache forderte, um nationale Gegensätze für zukünftige Generationen auszulöschen. Dieses utopische Übermaß ließ in den folgenden Jahrzehnten nach. Bereits während der 1848er-Revolution wurde die europäische Arbeiterklasse national eingemeindet. Der Erfolg bürgerlicher Revolutionen und Wahlrechtsausweitungen machte gegen Ende des 19. Jahrhundert nationale Parlamente endgültig zum Adressaten arbeiterbewegter Forderungen. Wie selbstverständlich wurde in den sozialistischen Parteien der Zweiten Internationale ab 1889 davon ausgegangen, dass Internationalismus aus der Verbrüderung nationaler Arbeiterbewegungen herrühre. Ideen von „Kulturelle Autonomie“, wie Otto Bauer sie für Österreich-Ungarn entwickelte, oder die Debatten der Bolschewiki und des jiddischen „Bundes“ um die „nationale Frage“ im Russischen Reich blieben Randphänomene. Sie entstanden nicht zufällig in Gesellschaften, die als Imperien noch keine nationalstaatliche Verfasstheit entwickelt hatten.

Den ganzen Artikel als PDF lesen: Editorial Heft 2021/I